Peter PFISTER

(Archiv des Erzbistums München und Freising, Deutschland)

Archive, auch kirchliche, sind keine statischen Institutionen, sie unterliegen den ständigen Veränderungen der menschlichen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse. Neben den traditionellen Kernleistungen eines Archivs (Archivieren und Nutzbarmachen von Informationsquellen) werden in den letzten Jahren aber auch zunehmend neue Herausforderungen für Archive und Archivare definiert, die sich unter den Begriffen Utilitarisierung und Popularisierung, Ökonomisierung und Aktualisierung zusammenfassen lassen.

Utilitarisierung und Popularisierung – Nützlichkeit nach innen und außen Die Archive müssen such heute als Dienstleistungseinrichtungen für Verwaltung, Forschung und Öffentlichkeit „marktgerecht“ verhalten, ihre Arbeit am Bedarf und an den Wünschen potentieller Nutzer orientieren und sich um bestmögliche Angebote bemühen. Für ein Diözesanarchiv, das sich als Teil einer Bistumsverwaltung versteht, sind der Bischof und die Mitglieder der Diözesanleitung die entscheidenden Adressaten, die über Strategie und Ressourcen entscheiden. Zu einer immer wichtigeren Aufgabe wird in diesem Zusammenhang die vorarchivarische Tätigkeit, die eine Brücke zwischen der laufenden Verwaltungstätigkeit einer Diözesanbehörde und dem Archiv darstellt. Schriftgutverwaltung auch in ihrer elektronischen Form als Dokumentmanagementsystem, wie es gerade im Erzbischöflichen Ordinariat München Einzug gehalten hat, darf nicht ohne Mitwirkung der Archivare geregelt werden.

Das Diözesanarchiv ist darüber hinaus Teil der Geschichtspolitik einer Diözese. Seine räumliche personelle, finanzielle und organisatorische Ausstattung ist ein Indikator dafür, welche Bedeutung die Diözesanleitung der Geschichte beimisst, wie sie historische Identität versteht, wie stark sie die geschichtlichen Wurzeln beim Gang in die Zukunft pflegt. Die nach außen gerichteten Tätigkeiten des kirchlichen Archivars – Öffentlichkeitsarbeit, historische Bildungsarbeit und Auswertungsarbeit – sind unverzichtbarer Bestandteil archivischer Arbeit, ohne dessen Berücksichtigung auch eine Kernaufgabe wie Überlieferungsbildung in ihrer ganzen Komplexität nicht adäquat zu erfüllen ist. Hierzu gehören Archivführungen, das Heranführen von Schüler und Studierenden an die Arbeit mit Archivalien sowie Archivalienausstellungen.

Ökonomisierung – die Maximierung der so genannten Wirtschaftlichkeit Die allgemeine Ökonomisierung betrifft die Kirchenarchive umfassend. Sie haben dabei mit einer doppelten Problemlage zu tun. Einerseits sind die Diözesanarchive selbst Teil der Diözesanverwaltung, deren Reform nicht selten mit Personalabbau und Mittelkürzungen einhergeht. –auch die Archive müssen sich nach den Kosten und dem Nutzen ihrer Tätigkeiten fragen lassen und sie sollten darauf stichhaltig Antwort geben können. Andererseits bringen gerade die Verwaltungs- und Funktionalreformen in einzelnen Referaten und Abteilungen eines Ordinariats den Archiven eine erhebliche Mehrbelastung.

Ebenso ist die Suche nach neuen Möglichkeiten der Erzielung von Einkünften für das Diözesanarchiv Teil des Themas.

Aktualisierung – Das Diözesanarchiv als „Haus der kirchlichen Zeitgeschichte“ Zeitgeschichte muss ein selbstverständliches Segment im archivischen Aufgabenspektrum sein. Denn einerseits stammt die überwiegende Masse der Archivalien aus dem 20. Jahrhundert, andererseits ist die bis in die 1970 Jahre reichenden Zeitgeschichte innerhalb der historischen Forschung inzwischen der weitaus größte Sektor. Die kirchliche Archivgesetzgebung in Deutschland privilegiert zeitgeschichtliche Forschung eindeutig.

Für das Münchener Diözesanarchiv ist dies eine zentrale Aufgabe, besitzt es doch im umfangreichen Nachlass von Michael Kardinal von Faulhaber (1917-1952 Erzbischof in München), den Konzilsakten von Julius Kardinal Döpfner (1961-1976 Erzbischof in München) sowie den Akten aus der Amtszeit von Joseph Kardinal Ratzinger (seit 2005 Papst Benedikt XVI.) als Erzbischof von München und Freising (1977-1982) mehrere zeitgeschichtlich hoch bedeutende Bestände gestellt: Der gesamte Nachlass Faulhaber und Kardinals Döpfners Akten zum Zweiten Vatikanischen Konzil sind inzwischen für die Forschung zugänglich. Durch Ausstellungen wissenschaftliche Kolloquien und Buchveröffentlichungen wurden sie bekannt gemacht. Zahlreiche Forscher arbeiten inzwischen mit diesen Beständen.

Fazit: Utilitarisierung und Popularisierung, Ökonomisierung und Aktualisierung sind Trends unserer Zeit, mit denen sich alle Archivare auseinandersetzen müssen. Gerade für uns Kirchenarchivare gilt angesichts dessen: Versicherung der unverzichtbaren Tradition, Übersetzung in die Strukturen unserer Zeit und Mut zu Visionen.